Das Bauchgefühl: was entscheidet Ihr Darmhirn für Sie?

Bauchgefühl (Foto: Adobe Stock)

Bauchgefühl (Foto: Adobe Stock, © Anatomy Insider)

Ach so – Ihr Gehirn sitzt im Kopf?! Sie verlassen Sich nicht auf Ihr Bauchgefühl? Klar… Na dann lesen Sie mal hier weiter:

Das Thema des vorletzten Artikels war der Einfluss der Psyche auf unsere Verdauung. Bei Angst und Nervosität Durchfall zu bekommen, das kennen viele Menschen.

Umgekehrt nimmt der Darm aber auch Einfluss auf unsere Psyche, er ist neben dem Gehirn die zweite große Kontroll- und Befehlsinstanz unseres Körpers. Im Gegensatz zu den anderen Organen kontrolliert sich der Darm nämlich selbst und wird nicht wie die anderen Organe durch das Gehirn gesteuert. Er ist durchzogen von unzähligen nervalen Schaltkreisen, die die Verdauung steuern. Diese Entscheidungen mit dem Gehirn zu verbinden hat die Natur als nicht sinnvoll erachtet, sodass die Steuerung direkt vor Ort erfolgt. Das „Darmhirn“ reagiert somit flexibel und autonom. Es entscheidet selbständig über komplexe Prozesse und Stoffwechselvorgänge und kommuniziert mit den Billionen Bakterien der Darmflora.

Darmflora im Focus der Forschung

Diese Tatsache rückt in den letzten paar Jahren immer mehr in den Focus der Wissenschaft. Es ist sogar ein neues Forschungsgebiet entstanden: die „Neurogastroenterologie“.

In Tierversuchen wurde bewiesen, dass die Zusammensetzung der Darmflora bei Mäusen Einfluss auf ihre Ängste und ihr Verhalten hat. Steril gehaltene, also keimfreie Mäuse reagieren deutlich empfindlicher auf Stress als Mäuse mit einer intakten Darmflora. Ob sich dies so auch auf Menschen übertragen lässt ist aber noch nicht bewiesen.

Jedoch zeigte eine Studie mit einer Gruppe gesunder Personen, die 30 Tage lang eine probiotische Kombination aus den gesunden Bakterien Lactobacillus helveticus und Bifidobacterium longum erhalten hatten, ein größeres Wohlbefinden und weniger Angstgefühle als bei der entsprechenden Kontrollgruppe, die Placebos erhalten hatten.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Darmbakterien Substanzen produzieren, die über die Blutbahn ins Gehirn gelangen. Auch der Nervus vagus, der das Gehirn mit dem Darm verbindet, spielt in dieser Kommunikation eine große Rolle. Anders als früher vermutet funkt dieser nicht nur Informationen vom Gehirn zum Bauch, sondern fast zehn mal mehr in die andere Richtung: also nach oben!

Bauchgefühl

Wir kennen alle das sogenannte „Bauchgefühl“. So steht der Darm tatsächlich mit dem limbischen System im Gehirn in Kontakt. Das ist der Ort, wo unsere Gefühle entstehen und Emotionen gesteuert werden. Hormone und Botenstoffe spielen hier eine Rolle, aber auch Signalstoffe, die die Darmbakterien aussenden. Dem „Glückshormon“ Serotonin ähnliche Stoffe aber auch angstlösende und beruhigende Substanzen werden von Darmbakterien hergestellt. Und der größte Teil des Serotonins in unserem Körper stammt aus dem Darm.

So steuern offensichtlich bestimmte Bakterien unsere Ängste und die Stressresistenz. Es wurde erwiesen, dass Mäuse ohne Darmflora deutlich schlechter lernen oder ein schlechteres Gedächtnis haben. Dies kann im Zusammenhang mit der Stressreaktion stehen, denn wenn wir in Stress geraten fokussieren wir uns stark und sind nicht für andere Informationen aufnahmebereit. Umgekehrt sind wir eben in einer entspannten Verfassung offen für neues Wissen.

Auch neue Erkenntnisse im Zusammenhang mit der Erforschung von Parkinson sehen eine Verbindung über den Nervus vagus zwischen Gehirn und Darm. Bei Autismus und bei Alzheimer-Patienten wurde ein verändertes Darmmikrobiom entdeckt, also eine andere Zusammensetzung der Darmflora als bei gesunden Menschen. Es fehlt im Moment allerdings noch der Beweis der Kausalität – also ist die veränderte Darmflora Ursache für die psychiatrischen und neurologischen Erkrankungen oder verhält es sich umgekehrt? Ich finde diese Frage hoch interessant und denke, dass in den nächsten Jahren noch einiges hierzu veröffentlicht wird.

Es macht aber durchaus Sinn sich nicht nur für eine gesunde Verdauung und beim Auftreten von Nahrungsmittelintoleranzen und Allergien mit seinem Darm zu beschäftigen. Auch vorbeugend gegen psychische Störungen und neurologische Erkrankungen ist die Gesundheit des Darms und seiner Bewohner, unseren Darmbakterien, wichtig. Und für stressgeplagte Menschen (also für fast jeden heutzutage!) gilt dies ganz besonders. Studien haben bereits ergeben, dass nach Einnahme bestimmter Bifidobakterien der Stresslevel der getesteten Personen subjektiv empfunden, aber auch nachweislich gesunken ist. Nerven und Signalstoffe im Blut regen die Nebenniere an, Stresshormone auszuschütten. Und dies wird eben nicht nur vom Gehirn, sondern auch vom Darm gesteuert.

Gut genährte Bakterien machen uns glücklicher

Wir sollten also nach diesen Erkenntnissen freundlich zu unseren Untermietern im Darm sein, denn sie leisten so viel für unser Wohlbefinden. Gönnen wir ihnen einfach die richtige Ernährung!

Unsere Darmbakterien lieben Ballaststoffe. Auch wenn der Name suggeriert, es handele sich um überflüssige Stoffe, oder gar welche, die uns belasten würden, so handelt es sich in Wahrheit um wichtige Bestandteile der Nahrung. Es sind Nahrungsbestandteile aus pflanzlichen Lebensmitteln, die für uns unverdaulich – für unsere Bakterien aber ein Festschmaus sind! Diese verwerten die Ballaststoffe und sind für ihr Überleben auf sie angewiesen.

Man findet Ballaststoffe in Getreide und Hülsenfrüchten, in Obst und Gemüse. Allerdings sollte mittlerweile jedem bewusst sein, dass in ausgemahlenem Weißmehl und den hieraus hergestellten Produkten keine Ballaststoffe mehr enthalten sind. Für Ihre Gesundheit ist es also wesentlich besser wenn Sie Vollkornprodukte essen, nicht nur Brot, sondern auch Nudeln und Reis sind wesentlich gesünder in der Vollkornvariante als im weißen Nacktgewand.

Einen Teil der Ballaststoffe nennt man sogar „Präbiotika“. Definitionsgemäß sind dies nicht verdaubare Lebensmittelbestandteile, die den Menschen gesundheitlich positiv beeinflussen, indem sie das Wachstum und/oder die Aktivität im Dickdarm gezielt anregen. Präbiotika sind beständig gegenüber Magensäure und Verdauungsenzyme und werden durch die Darmbakterien fermentiert. Sie finden sich natürlicherweise unter anderem in Getreiden, in Zwiebeln, Lauch und Knoblauch und vor allem in Chicoree und Topinambur. Auch Muttermilch enthält sogenannte Oligosaccharide die bei dem Säugling für eine Dominanz der Säuerungsbakterien sorgt. Zu den bekanntesten Präbiotika zählt Inulin, ein vor allem im Topinambur vorkommendes Oligosaccharid. Da uns das Enzym Inulinase fehlt, können wir Inulin nicht verwerten, die Darmbakterien freut es! Aber Vorsicht: zu viel Topinambur (oder Inulin aus der Apotheke) kann erst mal zu Darmbeschwerden führen, da die hieran nicht gewöhnten Darmbewohner überfordert werden und exzessiv Party feiern – mit dem Resultat von starken Blähungen. Die Zufuhr sollte daher langsam gesteigert werden.

Was haben Sushi und Omas Kartoffelsalat gemeinsam?

Resistente Stärke ist ebenfalls ein hervorragendes Präbiotikum. Sie entsteht beim Kochen und abschließenden Abkühlen von Kartoffeln und Reis. Hierbei kristallisiert die Stärke aus und wird robuster gegen die menschliche Verdauung. Kartoffelsalat oder Sushi bekommen unter diesem Gesichtspunkt eine ganz neue Qualität. Resistente Stärke regt vor allem das Wachstum der Bifidobakterien an. Sie wird in der Regel sehr gut vertragen und hat außerdem noch einen positiven Einfluss auf den Blutzuckerspiegel nach dem Essen.

Kokosmehl ist übrigens eine der ergiebigsten Ballaststoffquellen. Und es gibt noch eine Reihe weiterer Präbiotika, wie Flohsamen oder Beta-Glucane. Nicht nur das Wachstum vom Bifido- und Lactobazillen regen sie an, krankmachende Keime reduzieren sie, die Calciumresorption wird erhöht und kurzkettige Fettsäuren werden produziert.

30g Ballaststoffe sollten Sie am Tag zu sich nehmen. Gerne errechne ich Ihnen Ihren persönlichen Ballaststoffkonsum, sprechen Sie mich darauf an!

Zu guter Letzt möchte ich aber noch erwähnen, dass Sie jede Mahlzeit in Ruhe einnehmen sollten. Keine Streitgespräche am Essenstisch und auch keine stressige andere Ablenkung und schon gar nicht mal eben unterwegs „to go“! Bei Stress werden Nerven aktiviert, die die Verdauung hemmen. Ruhe hingegen fördert die Verdauungstätigkeit des Darms.

 

Quellen:

http://www.spektrum.de/news/was-darmbakterien-mit-depressionen-zu-tun-haben/1156781

http://www.deutschlandfunkkultur.de/medizin-das-zweite-gehirn.976.de.html?dram:article_id=295837

https://www.wissenschaft-aktuell.de/artikel/Darm_Hirn_Achse_des_Boesen__Darmkeime_koennen_psychische_Stoerungen_ausloesen1771015590329.html