Alzheimer und mentale Erschöpfung: gleiche Ursachen?

Unter mentaler Müdigkeit und Konzentrationsschwächen leiden 60% der Deutschen mehrmals pro Woche. 40% der Menschen haben Angst, an Alzheimer zu erkranken. Mit zunehmendem Alter steigt die Furcht davor. Häufig stehen diese Probleme auf derselben Seite einer Medaille. Ihre Ursachen haben viele Gemeinsamkeiten. Das Gehirn ist unser wichtigstes Organ. Wie erhalte ich es lange leistungsfähig?

Alzheimer und mentale Erschöpfung - dieselbe Seite der Medaille (Foto: Gehirn Sergey Nivens/Shotshop)

Alzheimer und mentale Erschöpfung – dieselbe Seite der Medaille (Foto: Gehirn Sergey Nivens/Shotshop)

Mentale Erschöpfung und Alzheimer sind die Folgen einer gestörten Leistungsfähigkeit des Gehirns. Beide Phänomene sind keine natürlichen Prozesse, sondern sie sind eher als Mangelerscheinungen anzusehen. Denn es ist unser Lebensstil, der unsere Gehirne leiden lässt. Wie so häufig ist daher Prävention entscheidend, statt nur darauf zu warten, dass es irgendwann Medikamente gibt.

Das Gehirn – kleines Organ mit großartiger Leistung

Unser Gehirn besteht aus vielen verschiedenen Regionen. Diese haben unterschiedliche Aufgaben. So werden Informationsverarbeitung, Wahrnehmung, Gedächtnis und Denkvorgänge im Großhirn verarbeitet. Eine zentrale Aufgabe liegt hierbei beim Hippocampus.

Zwischenhirn, Kleinhirn und Hirnstamm haben ihre eigenen Aufgabengebiete. Sensorische und motorische Signale müssen verarbeitet, Gleichgewicht und Bewegung gesteuert werden. Auch die automatisch ablaufenden Vorgänge und die Reflexe werden im Gehirn gesteuert.

Energiefresser Gehirn

Unser Gehirn macht bei Erwachsenen nur ca. 2% der Körpermasse aus – es benötigt aber 20% des Grundumsatzes, also der Energie im Ruhezustand. Es besteht aus circa 86 Milliarden Nervenzellen, die untereinander mit hunderten Billionen von Verbindungen verknüpft sind, den Synapsen.

Unser Gehirn benötigt Energie, sehr viel Energie. Dieses bekommt es in Form von Glukose („Traubenzucker“) und Ketonkörpern. Letztere entstehen bei der Fettverbrennung und sind eine effizientere Energiequelle als Glukose.

Synapsen bewahren die Leistungsfähigkeit

Synapsen sind hochflexible Verbindungen zwischen den Nervenzellen. Dort werden Informationen und Erinnerungen gespeichert. Jeder Austausch von Informationen zwischen zwei Nervenzellen führt zu einer Veränderung der dabei genutzten Synapse. Informationen, die bereits einmal weitergeleitet wurden, werden dabei schneller und länger abgespeichert.

Die Synapsen sind mit zunehmendem Alter wichtig, denn ihre Plastizität bewahrt die Leistungsfähigkeit des Gehirns. Plastizität bezeichnet das Potenzial des Gehirns, sich strukturell zu verändern, um sich beispielsweise veränderten Umweltbedingungen anzupassen.

Der Hippocampus: Ort der individuellen Erinnerung

Der Hippocampus hat seinen Namen aufgrund seiner Seepferdchen ähnelnden Form erhalten. Es handelt sich um zwei ca. daumengroße, symmetrisch angeordnete Bestandteile des Temporallappens. Die Hippocampi sind der Ort der individuellen Erinnerungen. Sie ergänzen sich gegenseitig. Der Verlust dieser Struktur führt zum Verlust der Erinnerung an frühere, persönliche Erlebnisse. Sie sind somit die Quelle unserer durch persönliche Erfahrungen erlangten Persönlichkeit und entscheidend für den Aufbau von sozialen Beziehungen.

Um im Leben Entscheidungen treffen zu können, müssen wir Zugang zu früheren Erfahrungen haben. Hierfür ist der Hippocampus unerlässlich.

Die Synapsen des Hippocampus sind besonders effizient und daher geeignet, um auch einmalige Gedanken und Erlebnisse schnell abzuspeichern. Im Gegensatz dazu verfügt das motorische Gedächtnis über deutlich langsamere Synapsen. Bspw. ein Instrument spielen zu lernen erfordert daher viele Wiederholungen.

Der Speicherschutz im Gehirn: ß-Amyloid

Damit die Synapsen die Erinnerungen speichern können, benötigen wir den Botenstoff Glutamat. Bei der Freisetzung von Glutamat wird gleichzeitig ß-Amyloid erzeugt. Dieses Peptid (das ist ein kleines Protein) schützt die benutzten Synapsen davor, „überschrieben“ zu werden und sorgt dafür, dass neue Ereignisse in freien Synapsen gespeichert werden.

ß-Amyloid reichert sich im Laufe des Tages immer weiter an, freie Synapsen nehmen jedoch gleichzeitig ab. Bei einem Übermaß an zu verarbeitenden Erlebnissen und Eindrücken im Laufe des Tages breitet sich mentale Erschöpfung aus. Wir können dann nur noch Routinetätigkeiten durchführen.

Der Hippocampus ist auch dafür zuständig, unsere Gedanken schnell und effizient abzuspeichern. Er stellt also unseren Gedankenspeicher dar. Läuft dieser im Laufe des Tages voll, so sind wir abends nicht mehr fähig für komplexe Gedanken. Dabei filtert das Gehirn unwichtiges oder routinemäßig ausgeführtes aus. Aber alles, was mit Emotionen verbunden wird, wird abgespeichert. Jedoch können sich selbst diese Emotionen aus Sicht des Hippocampus abnutzen und sind dann nicht mehr speicherwürdig.

Der Speicher muss geleert werden

Ein starker Hippocampus sorgt dafür, dass wir Neues wagen und gewohnte Muster aufgeben. Dabei bleiben unsere Ziele bei funktionierendem Hippocampus eher im Focus. Aber damit der Hippocampus leistungsfähig bleibt, müssen die gespeicherten Inhalte unbedingt am Ende des Tages geleert werden. Dies erfolgt in der ersten Nachthälfte, während der Tiefschlafphasen. In dieser Zeit werden die Erlebnisinhalte vom Hippocampus in den Neocortex „hochgeladen“. Dieser hat eine deutlich höhere Speicherkapazität – ähnlich der Kapazität einer Speicherkarte zur Festplatte des Computers.

In der zweiten Nachthälfte werden dann die neuen Informationen mit den früheren Inhalten in Beziehung gesetzt. Dabei entstehen unsere Träume. Informationsschnipsel werden miteinander verbunden – für uns haben die Träume häufig keinen Bezug zur Wirklichkeit. Für unser Gehirn ist dieser Prozess aber sehr wichtig.

Auch muss dringend das freigesetzte ß-Amyloid aus den Synapsen entsorgt werden. Der Hippocampus wäre sonst nicht in der Lage, neue Informationen aufzunehmen. Dies geschieht während der REM-Phasen des Schlafes.

Ist die Nachtruhe also gestört oder zu kurz, dann haben wir am nächsten Tag Konzentrationsstörungen.

Der Hippocampus ist darüber hinaus wichtig, um die Erinnerungen auf der „Festplatte“ des Neocortex auch wieder abrufbar zu machen. Er fügt die Erinnerungen mit Raum und Zeit zueinander.

Nervenzellen können sich doch neu bilden

Es ist eine relativ neue Erkenntnis, denn bis vor noch gar nicht langer Zeit war man immer davon ausgegangen, dass sich Nervenzellen nicht mehr neu bilden.

Der Hippocampus und seine benachbarten Strukturen sind die einzigen Bereiche des Gehirns, die bis ins hohe Lebensalter neue Nervenzellen bilden können. Dies ermöglicht eine persönliche Entwicklung bis ins hohe Lebensalter. Dabei ist das Potenzial zur Neubildung von Nervenzellen gleich groß vom jungen Erwachsenen bis zum Hochbetagten.

Weiterhin ermöglicht die lebenslange Neubildung von Nervenzellen im Hippocampus komplexe Denkvorgänge bis ins hohe Alter, ohne dass der Speicher überläuft.

Unter bestimmten Umständen kann der Hippocampus sogar wachsen. Dazu bedarf es aber der aktiven Nutzung der neu gebildeten Nervenzellen und der Synapsen! Es muss etwas „Merkwürdiges“ passieren, damit wir es uns auch merken. Es muss uns etwas „begeistern“, damit der Geist wächst. Denn werden die Zellen nicht benötigt, so sterben sie ab und der Körper gibt sich keine Mühe mehr, neue zu bilden. Dies erklärt auch, warum Neuronen bei Einsamkeit absterben, wenn Gedächtnisinhalte nicht mehr abgerufen werden.

Ein Gehirn, das nicht gebraucht wird, schrumpft

Leider ist es „normal“, dass bei den meisten Menschen das Volumen des Hippocampus stetig abnimmt. Es ist allerdings kein natürlicher Prozess, der zwangsläufig ablaufen muss. Das Schrumpfen des Hippocampus führt zu Depressionen und Demenz. Die Ursache ist unsere Lebensweise, die weit weg von einer natürlichen Lebensform ist. Nicht zuletzt die vielen Stunden, die der „moderne Mensch“ passiv vor Bildschirmen verbringt, tragen zum Abbau der mentalen Kapazitäten bei.

Darüber hinaus wird bei Fragen wird nicht mehr nachgedacht, sondern „gegooglet“. Für Fremdsprachen gibt es die Übersetzungs-Apps und abends lassen sich die meisten Menschen vom Fernseher berieseln. Chat-GPT und andere KI-Programme nehmen uns noch mehr das Denken ab. Nur: ein Gehirn, das nicht gebraucht wird, schrumpft!

Auch die räumliche Orientierung benötigt Training. Navigationsgeräte erleichtern das Reisen ungemein. Das Navi im Auto oder der schnelle Blick auf Google Maps helfen uns, den richtig Weg zu finden, wenn wir uns verlaufen haben. Allerdings ist unser Hippocampus unser „interner Ortsspeicher“. So hat eine Studie an Londoner Taxifahrern gezeigt, dass bei diesen bestimmte Regionen des Hippocampus deutlich größer waren als bei der Normalbevölkerung.

Stress ist Gift für das Gehirn

Auch Stress und Angst lassen den Hippocampus schrumpfen. Bei dauerhaftem Stress wird Cortisol ausgeschüttet. Ein permanent erhöhter Cortisolspiegel schaltet alle Funktionen im Körper ab, die Energie verbrauchen. Er verhindert jedoch nicht nur die Ausbildung von neuen Neuronen, sondern führt sogar zum vermehrten Abbau dieser. Wer sich als widerstandsfähig gegen Stress zeigt und sich neuen Situationen schnell anpassen kann, der hat eine höhere Neubildungsrate von Nervenzellen.

Demenz ist im Normalfall also keinesfalls ein natürlicher und unvermeidbarer Prozess. Wir sollten daher alles dafür tun, dass unser Hippocampus wachsen kann, oder zumindest vermeiden, dass er schnell schrumpft.

Lockdowns und Kontaktverbote sind ein Angriff auf unsere Gehirngesundheit!

Mit einem schrumpfenden Hippocampus verlieren wir aber auch an Selbstwert und emotionaler Intelligenz. Eine gehemmte Bildung von Nervenzellen wird auch als die Hauptursache für eine Depression angesehen. Dies erklärt, warum gerade während der Corona-Jahre die Zahl der Depressionen sprunghaft angestiegen ist. Die durch die Politik verordneten Maßnahmen wie Lockdowns, Schulschließungen und Kontaktverbote haben den Menschen ihre sozialen Kontakte geraubt. Einsamkeit ist in allen Altersklassen sprunghaft angestiegen.

Ohne intellektuellen Austausch haben die Menschen viel Zeit bspw. vor dem Fernseher verbracht. Es wurden keine neuen Erfahrungen mehr gemacht, es fanden keine Erlebnisse statt. Es gab nichts „Merkwürdiges“, dass es sich zu merken lohnte. In der Folge konnten die Hippocampi nicht mehr wachsen, sondern sind vermehrt geschrumpft. Depressionen sind die direkte Folge, Demenzen folgen später. Denn gerade depressiven Menschen fehlt der Antrieb, neues zu unternehmen und ihren Geist anzuregen. Es ist ein Teufelskreis, der sich so entwickelt.

Geistige Flexibilität ist die Grundlage für unsere Anpassungsfähigkeit

Die Größe des Hippocampus steht tatsächlich mit dem Grad der Zufriedenheit in direkter Beziehung. Kreativität und Schaffenskraft benötigen ein Wachstum von Nervenzellen, genauso wie geistige Flexibilität. Diese benötigen wir vor allem in neuen, fremden Situationen oder in Zeiten von starken Veränderungen. Geistige Flexibilität fördert die Neugier und das Interesse an Zusammenhängen. Wer sich für Zusammenhänge interessiert und Dinge kritisch hinterfragt, der ist nicht so schnell manipulierbar und bleibt somit handlungsfähiger auch in Krisenzeiten.

Wir sollten also alles dafür tun, dass unser Hippocampus täglich ein bisschen wachsen kann, oder zumindest nicht schrumpft. Wie wir dies erreichen, das lesen Sie im folgenden Artikel.

Quellen:

Das erschöpfte Gehirn, Dr. Michael Nehls, Heyne Verlag

Die Alzheimer-Lüge: Die Wahrheit über eine vermeidbare Krankheit, Dr. Michael Nehls, Heyne Verlag

Was ist bloß mit meinem Gehirn los?, Davis Kharrazian, VAK Verlag

https://www.deutsche-alzheimer.de/fileadmin/Alz/pdf/factsheets/infoblatt1_haeufigkeit_demenzerkrankungen_dalzg.pdf

https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/pflege/online-ratgeber-demenz/krankheitsbild-und-verlauf.html#:~:text=Die%20Behandlung-,Was%20ist%20eine%20Demenz%3F,Lebens%20erworbenen%20Fähigkeiten%20und%20Fertigkeiten.

https://www.aerztezeitung.de/Medizin/Alzheimer-Auf-Amyloid-Antikoerper-setzen-oder-lieber-auf-Praevention-442940.html?utm_term=2023-09-20&utm_source=2023-09-20-AEZ_NL_NEWSLETTER&utm_medium=email&tid=TIDP2340864X650A2D336382475B876197DC0F3B80BEYI4&utm_campaign=AEZ_NL_NEWSLETTER&utm_content=Ihr%20Ärzte%20Zeitung-Newsletter%20vom%20%5Brundate%5D

https://fachkreise.hevert.com/de/de/medizin-aktuell/demenz-von-fruehen-anzeichen-bis-zur-unterstuetzung-pflegender-angehoeriger-teil-1/?nl=NLec7b8d5&utm_source=CleverReach&utm_medium=email&utm_campaign=Newsletter+08%2F2023&utm_content=Mailing_14549682

https://de.statista.com/statistik/daten/studie/180614/umfrage/formen-von-demenz/

https://www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/dementia

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC7392084/

https://www.deutsche-alzheimer.de/fileadmin/Alz/pdf/factsheets/infoblatt1_haeufigkeit_demenzerkrankungen_dalzg.pdf

https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/Zahl-der-Woche/2022/PD22_38_p002.html

https://www.alzheimer-forschung.de/alzheimer/

https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1277730/umfrage/muedigkeit-der-deutschen/

https://www.alzheimer-forschung.de/aktuelles/meldung/umfrage-ergibt-senioren-haben-angst-vor-alzheimer/

https://www.dak.de/dak/bundesthemen/muedes-deutschland-schlafstoerungen-steigen-deutlich-an-2108960.html#/

https://www.geo.de/wissen/gesundheit/spermidin–das-wundermittel-fuer-ein-langes-leben–33401822.html

https://www.naturundheilen.de/wissensschatz/artikel/ganzheitliches-gehirn-jogging-klarer-kopf-ein-leben-lang/

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