Empty-Mask-Syndrom!?

Was ist das Empty-Mask-Syndrom? Vielleicht haben Sie noch nie davon gehört. Es findet sich auch nicht als klinische Diagnose im ICD-10 (dem weltweit anerkannten Klassifikationssystem für medizinische Diagnosen). Es beschreibt aber ein Phänomen, dass ich immer wieder beobachte und für das es gute Erklärungsansätze gibt.

Empty-Mask-Syndrom

Empty-Mask-Syndrom

Da ist die Gruppe von drei Teenager-Mädchen, die ich regelmäßig auf der Straße oder nachmittags nebenan auf dem Schulhof sehe. Da ist der ca. zwölfjährige Junge, der mir morgens oft entgegen kommt – alleine auf seinem Schulweg, die Kapuze vom Hoody weit über die Stirn gezogen. Oder die junge Patientin mit Depressionen und Essstörung. Was verbindet diese Jugendlichen? Sie tragen alle freiwillig ihre Maske, den ganzen Sommer über, draußen und sogar alleine. Ich habe mich lange gefragt warum. Was treibt die jungen Menschen dazu?

Empty-Mask-Syndrom: wenn Menschen die Maske nicht mehr ablegen

Eine mögliche Erklärung habe in den Erläuterungen zum Empty-Mask-Syndrom gefunden, dem „Syndrom des leeren Gesichts“. Bei meinen Internet-Recherchen bin ich dabei hauptsächlich auf Seiten aus Spanien und Lateinamerika gestoßen. Die bald drei Jahre Pandemie haben eben weltweit große Veränderungen gebracht. Die Menschen gehen anders miteinander um, dies hat emotionale und psychologische Folgen.

Warum fällt es aber vor allem vielen jungen Menschen so schwer, ihre Masken wieder abzulegen? Dieses Phänomen wurde mir auch in Gesprächen von Müttern bestätigt. Auch finde ich immer wieder Hinweise in sozialen Medien darauf. Für Kinder und Jugendliche ist die Maske mittlerweile Teil des Alltags geworden, selbstverständlich und normal. Wer wie ich über 50 Jahre ohne Maske gelebt und vor allem erfolgreich überlebt hat, dem kommt sie daher deutlich eher wie ein Fremdkörper vor.

Hinter der Maske verstecken

Aber gerade junge Menschen leiden häufig unter Unsicherheiten und haben ein eingeschränktes Selbstwertgefühl. Wenn Kindern und Jugendlichen nun jahrelang erzählt wird, dass von anderen Menschen potenziell Lebensgefahr ausginge oder dass sie selbst eine solche darstellen können, und die Maske einen wirksamer Schutz sei – dann liegt es nahe, dass diese noch leicht beeinflussbaren Jugendlichen sich ohne Maske in großen Menschenmengen unwohl fühlen. Aber alleine auf weiter Flur? Was kann dort der Grund sein?

Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper, Pickel, die Zahnspange, Veränderungen in der Gesichtsform – mit Maske sieht das keiner. Mit Maske sehen alle gleich aus, kein großer Unterschied. Hinter der Maske kann man sich hervorragend verstecken, da sind alle irgendwie gleich. So fällt man nicht mehr auf.

Viele Pubertierende haben Probleme mit den Veränderungen, den körperlichen und den psychischen. Das war sicherlich schon immer so.

Während der Pandemie waren in Deutschland die Schulen mindestens 183 Tage ganz oder teilweise geschlossen. In dieser Zeit fanden auch so gut wie keine anderen sozialen Gruppenaktivitäten statt. Den Kindern und Jugendlichen fällt es daher häufig schwer, in der Öffentlichkeit ihr Gesicht zu zeigen, sie waren es einfach nicht mehr gewöhnt. Wenn dies nun mit einer tiefsitzenden Unsicherheit einher geht, dann bleibt die Maske lieber auf. Es ist also ein Schutz vor eigentlich normalen, aber ungewohnten sozialen Situationen. Körperlich nicht sichtbar zu sein schützt vermeintlich vor Ablehnung. Wenn Menschen es verlernt haben als Individuum sichtbar zu sein, dann bietet die Maskierung die Möglichkeit in der Masse unterzutauchen.

Schutz und Sicherheit hinter der Maske

Die Maske hat lange Zeit vermeintlich eine gewisse Sicherheit und Schutz geboten. Gerade Jugendliche, deren Gesichtszüge sich seit Beginn der Masken-Gebote stark verändert haben, sind nun verunsichert. Sie haben die Veränderungen bei ihren Gleichaltrigen ja auch nicht in dem Ausmaß beobachtet, wie das normalerweise der Fall ist.

Ein weiterer Grund mag darin liegen, dass viele Kinder und Jugendliche permanent überwacht wurden, ob die Maske denn auch richtig sitzt. Kinder, die aus Schulbussen geschmissen wurden, weil sie ihre Masken vergessen hatten. Dies kann tatsächlich soziale Ängste hervorrufen oder verstärken, sodass das Nichttragen der Maske zu einem starken Unwohlsein führt. Wer unter sozialen Ängsten leidet möchte unter keinen Umständen auffallen, aus Angst negativ be- oder gar verurteilt zu werden. Die Maske hat da einen sehr guten Schutz geboten. Menschen mit Maske lösen den Gedanken aus, „hier lauert Gefahr“ – komm mir nicht zu nahe, sprich mich nicht an. Das ist sowohl für sehr schüchterne Menschen, aber für Menschen mit Sozialphobie natürlich der „perfekte Schutz“.

Fotos und Videos landen schnell im Internet

Nicht zu unterschätzen ist sicherlich auch der Aspekt, dass die Jugendlichen heute viel weniger Privatsphäre genießen als früher. Es ist ein realer Faktor, dass heute ständig und überall potenziell Kameras lauern. Eigentlich kann man sich außer in den eigenen vier Wänden nirgendwo mehr sicher sein, dass man nicht von irgendjemandem gefilmt wird. Im Netz kursieren unzählige Handyvideos von Menschen, die sich in einer Situation blöd anstellen oder ungewöhnlich benehmen. Wie schnell ist ein Video gemacht und in die sozialen Medien hochgeladen. Wir wissen alle, das Internet vergisst nichts. Wie schön, wenn es dann Masken gibt – oder?

Eine freie und gesunde Gesellschaft zeichnet sich dadurch aus, dass wir uns nicht maskieren und unser Gesicht zeigen. Nicht umsonst steht die Redewendung „sein Gesicht zu zeigen“ für offene Meinungsäußerung, den eigenen Standpunkt zu vertreten. Wer sein „wahres Gesicht“ zeigt, der verstellt sich nicht – der lässt „die Maske fallen“. Manchmal wundert man sich, was dann zutage tritt. Ich finde es gerade in den heutigen Zeiten so wichtig wie selten, dass Meinungen klar formuliert und die Aussagen der Menschen gehört werden.

Was kann gegen Unsicherheiten helfen?

Meines Erachtens ist das freiwillige Tragen einer Maske alleine und im Freien ein deutliches Warnsignal an die Eltern und Bezugspersonen, dass etwas nicht stimmt. Bei milden Formen des Empty-Face Syndrom kann es ausreichen, im Gespräch die Ängste zu identifizieren und den Betroffenen zu ermutigen, in kleinen Schritten, aber immer häufiger die Maske abzusetzen. Da wir nun aber schon so viele Monate keine Maskenpflicht im öffentlichen Raum haben, außer in Bus und Bahn, befürchte ich, dass die Jugendlichen, die immer noch lieber mit Maske umherlaufen, schon tatsächlich therapeutische Hilfe benötigen.

Natürlich gibt es auch die Menschen, die sich durch das Tragen einer Maske vor Corona schützen möchten. Auf diese Gruppe möchte ich an dieser Stelle nicht tiefer eingehen. Ich halte es aber für möglich, dass auch bei denen eventuell eine andere Ursache für ihr Verhalten vorliegt.

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Quellen: 

https://www.mapfre.com/en/insights/health/empty-face-syndrome/

https://www.ifo.de/DocDL/sd-2021-12-freundl-stiegler-zierow-schulen-europa-corona.pdf

https://www.americanjournal.news/what-is-the-empty-face-syndrome-after-stopping-wearing-a-mask/

https://journaltime.org/2022/05/02/what-is-an-empty-face-syndrome/

https://andina.pe/agencia/noticia-peru-optional-use-of-face-masks-might-generate-empty-face-syndrome-891978.aspx